Vor vielen Jahren erkrankte ich an einer Wochenbettpsychose. Bis ich wieder das Leben mit Freude genießen und mit Familie und Freunden Glück erleben konnte, verging viel Zeit.
Mich interessierte, wie es anderen Frauen erging, die vor oder nach der Geburt eines Kindes psychisch erkrankten. Was erlebten, dachten, fühlten sie? Nicht aus der Sicht eines Helfenden, des Psychiaters, des Psychotherapeuten oder des Psychologen, sondern aus der Sicht der betroffenen Mütter wollte ich diese Fragen beantwortet haben.
Von tausend Frauen, die ein Baby zur Welt bringen, bekommt durchschnittlich eine Frau eine Wochenbettpsychose, weitaus mehr erleiden eine Wochenbettdepression. Ich begegnete ihnen an den verschiedensten Orten: in Patientenclubs, Seminaren, Projekten, Begegnungsstätten oder ganz privat. Doch nicht alle Frauen waren bereit, über das Erlebte zu sprechen, und manchmal waren auch die Partner dagegen.
Für viele Menschen sind psychische Erkrankungen noch immer ein Tabuthema.
Christa Beau
Textauszug:
Nancy
25 Jahre jung, Studentin, Mutter einer wunderschönen Prinzessin, wie sie ihre einjährige Tochter bezeichnet. Die Geburt fand im Wasser statt.
Die Schwangerschaft verlief komplikationslos. Die ganze Zeit über ging es mir gut. Ich habe mich riesig auf die Kleine gefreut, wusste, es wird ein Mädchen. Zuhause bereitete ich alles vor. Putzte und schmückte das Zimmer, suchte einen schönen Namen aus.
Die Entbindung fand im Geburtshaus meiner Hebamme statt. Alles verlief komplikationslos. In einer großen, runden Badewanne mit warmem Wasser habe ich aus eigener Kraft meinem Baby das Leben geschenkt, ohne Schmerzmittel, ohne Wehentropf. Die Hebamme hockte auf dem Wannenrand, und ich vertraute ihr. Mein Mann, der neben der Wanne saß, hat mir zwischen den Wehen Getränke gereicht und die Stirn gekühlt. Als die Kleine meinen Körper verließ, schwamm sie für einen kurzen Moment im Wasser. Mit ihrem Unterarm hob die Hebamme mein Baby aus dem Nass und legte es mir in die Arme. Es war ein wundervoller Moment, als ich die Kleine hochnahm, sie das erste Mal außerhalb meines Körpers spürte.
Auch die ersten Tage nach der Geburt waren schön. Ich hatte viel Kraft und kümmerte mich gern um die Kleine. Aber schon da begann meine Schlaflosigkeit. Plötzlich ekelte ich mich vor scharfen Gerüchen.
Fünf Tage nach der Geburt, meine Großeltern waren gerade zu Besuch, erlebte ich einen Zustand von Euphorie, ein Hochgefühl. Ich fühlte mich überdreht, als hätte ich Drogen konsumiert. Meine Hände zitterten, meine Füße waren eiskalt. Nun konnte ich gar nicht mehr schlafen. Ich fühlte mich überglücklich, war innerlich unruhig, aufgeregt und wusste nicht, wie ich meine Gefühle regulieren sollte.
Dann hatte ich Streit mit meinem Partner. Er konnte nicht verstehen, was da mit mir los war. Ich verstand es ja selbst nicht. Wir stritten und redeten die ganze Nacht lang. Wieder bekam ich keinen Schlaf. Ich ärgerte mich, weil er ein paar sehr verletzende Dinge zu mir sagte.
Am Morgen hatte ich einen Nervenzusammenbruch. Ich schrie und schrie.
Meine Hebamme schickte mich daraufhin zur Mutter-Kind-Tagesklinik. Ich schilderte der Psychologin meine Wahrnehmungen, sie vermutete hinter dem Ganzen eine Wochenbettdepression. Ich misstraute dieser Diagnose. Mir ging es doch gut. Ich liebte mein Kind, hatte nur keinen Schlaf. Auf dem Weg zur Klinik kam mir die Welt seltsam vor. Ich nahm alles anders wahr. Ich roch Gerüche und fühlte Dinge, die für die anderen gar nicht da waren. In der Klinik kam es mir so vor, als würden mich alle anstarren, wie einen Zombie.
Meine Kleine schrie. Ihre Schreie hörte ich sehr laut, schallend und gellend. Ich begann zu weinen, wollte nur nach Hause mein brüllendes Baby stillen und endlich schlafen.
Drei Tage später am frühen Morgen brachte mir meine Mutter mein Baby zum Stillen. Ich sah es tot vor mir liegen. Dass dies eine Halluzination war, es ganz normal schlief, erkannte ich nicht. Ich dachte, ich hätte meine Kleine umgebracht. Nicht aktiv, sondern passiv. Wir, meine Familie und ich, hätten sie durch den ganzen Stress so schlecht behandelt, dass sie selbst entschieden hätte, wieder zu gehen.
Ich fing wie wahnsinnig an zu schreien. Mit Händeauflegen und Stillen habe ich versucht, sie zurück ins Leben zu holen. Ich dachte, das sei eine Prüfung durch Gott. Ich musste jetzt zeigen, dass ich für das Leben meines Kindes kämpfen konnte. Es sah so tot aus, so bleich, mit schwarzen Fingernägeln. Dann bildete ich mir ein, dass es verhungert wäre, weil aus meinen Brüsten nur Wasser käme. Ich hatte ja die ganzen letzten Tage auf Grund des Ekels kaum etwas gegessen. Ich schrie nach Milch und Honig, weil ich glaubte, das bilde Milch neu. Dann wollte ich mit ihr in die Badewanne, wie bei der Geburt. Ich dachte, so warmes Wasser wirkt vielleicht belebend. Ich legte die Kleine in die Arme meiner Mutter, rannte ins Bad, um Wasser einzulassen.
Meine Mutter gab sie nicht wieder her. Wahrscheinlich dachte sie, ich wolle die Kleine jetzt in der Badewanne ertränken. Mein Vater hatte schon den Notarzt gerufen und plötzlich standen Rettungssanitäter vor mir...